Die „Alte Dame von Schönbrunn“, eine Fockea capensis aus der Familie der Seidenpflanzengewächse, kam 1799 bereits als hochbetagte Pflanze mit dem Gärtner Georg Scholl von Südafrika nach Schönbrunn. Ihr Alter wird auf etwa 500 Jahre geschätzt, 225 davon verbrachte sie in Schönbrunn.
Exotische Pflanzen für den Kaiser
1783 waren in Wien von weit her mehrere Kisten angekommen. Adressiert waren sie an die kaiserlichen Pflanzensammlungen in Schönbrunn, Absender war der Direktor des königlich botanischen Gartens aus der französischen Kolonie Mauritius. Der Inhalt der Kisten bestand aus ursprünglich lebenden Pflanzen, die wegen der langen Reise vertrocknet waren. Dank einer beiliegenden Liste wusste man jedoch, welche Schätze sich darunter befanden. Ein großer Teil waren Obstgehölze wie Mango, Pampelmuse und Avocado oder Gewürzpflanzen wie Zimtbaum, Muskatnuss und Nelken. Die meisten der Pflanzen sind nicht heimisch auf der Insel Mauritius, sondern kamen größtenteils aus Asien, viele aus Afrika, manche sogar aus Südamerika.
Der königliche Garten auf Mauritius diente als Akklimatisationsgarten, um Pflanzen auf ihre Eignung für die Kultivierung im Mutterland Frankreich zu prüfen. Für das Kaiserhaus in Wien wäre es nicht möglich gewesen, viele dieser Pflanzen von ihren Naturstandorten zu bekommen. Die Habsburgermonarchie hatte keine eigenen Kolonien, aus denen man Pflanzen direkt importieren konnte. Stattdessen beauftragte das Kaiserhaus ab 1754 immer wieder Forschungsreisen in Kolonien, zu deren Mutterländern man in diplomatischer Verbindung statt. 1785 hatten die Hofgärtner aufgrund von zwei durchgeführten Sammelreisen in die Karibik bereits Erfahrung mit derartigen Unternehmungen sowie mit der Kultivierung exotischer Pflanzen in den Schönbrunner Orangeriegebäuden und Glashäusern.
Daher wurden 1785 zwei Schönbrunner Hofgärtner vom Kaiserhaus auf eine Forschungsreise nach Südafrika und Mauritius geschickt, um lebende Pflanzen und Tiere, Samen, Zwiebeln und Knollen für die kaiserlichen Sammlungen nach Schönbrunn zu bringen. Der Reise waren weder zeitliche noch finanzielle Grenzen gesetzt. Ziel war es, „eine reiche und kostbare Sammlung von den seltensten Produkten aller Gattungen“ nach Wien zu bringen.
In überflüssigen Mengen sammeln
Die beiden Gärtner Franz Boos und Georg Scholl verübten ihren Auftrag mit großem Interesse und Pflichtbewusstsein. Kontakte zu niederländischen Kolonialbeamten und europäischen Naturforschern wurden eifrig genutzt, um den Alltag zu organisieren, gemeinsam durch das Land zu reisen, Pflanzen zu sammeln und sie in ihrem eigenen kleinen Garten zu kultivieren, naturkundliche Literatur zu konsultieren sowie Erfahrungen auszutauschen. Innerhalb kürzester Zeit hatten Boos und Scholl eine große Menge an Aufsammlungen in ihren Besitz gebracht.
Bereits nach sechs Monaten Aufenthalt am Kap ging Franz Boos an Bord eines Segelschiffes nach Mauritius, um dort den Auftrag weiter zu erfüllen. Georg Scholl verblieb am Kap und betreute Pflanzen und Tiere.
Die Menge der eigenen Aufsammlungen und Ankäufe sowie der vielen Pflanzen, die Boos aus dem königlichen Garten auf Mauritius erhalten hatte, war so groß, dass es nicht möglich war, für alle Bestände eine Schiffspassage nach Europa zu bekommen. Franz Boos schiffte sich daher im Jänner 1788 mit einer kleinen Menge an Pflanzen und Tieren auf einem französischen Schiff nach Triest ein. Georg Scholl blieb mit den restlichen Beständen am Kap, um mit der nächsten Möglichkeit nach Wien zu reisen. Diese sollte sich jedoch lange nicht ergeben, so dass er erst 1799 nach Wien zurückkam. Mit im Gepäck hatte er eine kleine Caudex-Pflanze, die später als Fockea capensis beschrieben wurde. Diese Pflanze galt lange Zeit am Naturstandort als ausgestorben. Bei der Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 wurde sie von der Hofgartendirektion stolz als Letzte ihrer Art präsentiert.
Erst 1906 wurden weitere Exemplare in Südafrika gefunden. In den 1970er Jahren gelang es in den Pflanzensammlungen in Schönbrunn, sie generativ zu vermehren. Die Alte Dame von Schönbrunn wird heute in den Glashäusern der Botanischen Sammlung inm Schlosspark Schönbrunn inmitten ihrer Artgenossen kultiviert.Ortwechsel werden ihr nicht mehr zugemutet, sondern nur noch ihre Nachkommen in Ausstellungen gezeigt.
Der Wettlauf der Nationen
Der Hunger nach exotischen Pflanzen war so groß, dass man Hofgärtner jahrelang auf gefährliche Reisen in weit entfernte Länder schickte und unvorstellbar hohe Summen dafür ausgab. Beweggründe waren Sammelleidenschaft, Entdeckungslust, Forscherdrang, aber auch wirtschaftliche Interessen, Machtstreben und koloniale Hoffnungen.
Immer weiter entferntere Gegenden wurden bereist, immer größere Mengen in Europa unbekannter Pflanzen gelangten in die Sammlungen. Der Hunger wurde jedoch nicht gestillt, sondern die Gier nach Neuem wurde immer größer. Die Forschungsreisenden wurden von den Kolonialherren unterstützt und übernahmen meist auch deren Verhaltensweisen. Auf Sklavenmärkten wurden versklavte Menschen gekauft, die schwere Arbeiten verrichten mussten. Um Anbau und Nutzen der in Europa unbekannten Pflanzen zu erfahren, wurde Kontakt zur indigenen Bevölkerung gesucht und man profitierte von ihrem Wissen. Immer wieder wurden auch Einheimische mit nach Europa gebracht, um auf der Reise lebende Tiere zu versorgen. In den europäischen Gärten und Menagerien waren sie gleichzeitig Arbeitskräfte und lebendige Schauobjekte.
Der Besitz der Pflanzen und das Wissen um ihre Kultivierung bedeuteten ökonomische und politische Macht. Man hoffte, exotische Nutzpflanzen in den eigenen Gärten und Glashäusern kultivieren zu können und damit von teuren sowie zum Teil gefährlichen Exporten unabhängig zu werden. Der Besitz der exotischen Pflanzen, Erstbeschreibungen durch eigene Botaniker und das Wissen um die Kultivierung waren auch ein Prestigesymbol im Wettlauf um die politische Macht in Europa.
Kampf ums Überleben
Bereits Alexander von Humboldt hatte während seiner Reise nach Südamerika von 1799 bis 1804 erkannt, dass die menschlichen Eingriffe in die Natur massive Auswirkungen nach sich ziehen. Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieb er den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Abholzen des Urwaldes in der Amazonasregion und regionalen Wetterveränderungen. Auch in Europa bemerkte man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Veränderungen der Natur aufgrund von Emissionen durch die stark zugenommene Industrialisierung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte man in den Alpen die Bedrohung der heimischen Flora durch zunehmende Sammeltätigkeiten fest.
Natur- und Heimatschutzvereine entstanden, eine intensivere Beschäftigung mit der Natur setzte ein und erste Naturschutzgesetze auf Länderebene wurden verabschiedet. Oft war man jedoch noch der Idee verhaftet, dass bedrohte Pflanzen am Naturstandort entnommen werden müssten, um sie an vermeintlich sicheren Orten zu kultivieren. Diese Meinung vertrat auch die Hofgartendirektion, die 1902 eine Anleitung zum Sammeln bedrohter Pflanzen in Südafrika verfasste, um diese in Schönbrunn als Schutzsammlung weiter zu kultivieren.
Erst mit der Gründung der Weltnaturschutzunion im Jahr 1948 und der Ratifizierung internationaler Abkommen zum Naturschutz wie dem Washingtoner Artenschutzabkommen, dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt oder dem Nagoya-Protokoll konnten wichtigen Maßnahmen für den weltweiten Schutz der Natur getroffen werden.
Die Verantwortung Botanischer Sammlungen
Viele der Zierpflanzen, die die Hofgärtner Franz Boos und Georg Scholl am Ende des 18. Jahrhunderts aus Südafrika und Mauritius nach Europa gebracht hatten, schmücken heute ganz selbstverständlich unsere Beete, Terrassen und Balkone. Dazu gehören Pelargonien, Gladiolen, Gazanien aber auch viele Eriken. Die ursprüngliche Heimat dieser Pflanzen ist nur noch Wenigen bewusst. Meist sind es nicht mehr die Wildarten, die vor Jahrhunderten nach Europa gekommen waren, sondern sie wurden züchterisch bearbeitet und auf die hiesigen Bedürfnisse und Wünsche angepasst. Auf diese Weise entstanden und entstehen immer noch viele neue pflegeleichte und dauerblühende Hybride. Die Wildarten mit ihren Eigenheiten sind außerhalb des Naturstandortes oft nur noch in Spezialsammlungen wie in den Österreichischen Bundesgärten zu finden.
Viele Wildarten sind aufgrund intensiver Landwirtschaft, fortschreitender Zersiedelung, übermäßiger Nutzung und Entnahme sowie der Veränderungen durch den Klimawandel am Naturstandort in Südafrika vom Aussterben bedroht und manchmal nur noch in Botanischen Sammlungen vorhanden. Werden diese Pflanzen vegetativ, also über Stecklinge, vermehrt, dann ist ihr botanischer Wert besonders hoch, da keine Kreuzungen stattgefunden haben.
Institutionen wie die Österreichischen Bundesgärten, die seit vielen Jahrhunderten Pflanzen aus fast der ganzen Welt durchgängig kultivieren, haben eine besondere Verpflichtung aufgrund ihres Erbes diese Pflanzen zu erhalten und im Rahmen von Auswilderungsprogrammen Pflanzen aus ihren Beständen bei Bedarf den Naturstandorten zur Verfügung zu stellen.
Claudia Gröschel