Auf einer Gouache im Wien Museum ist Kaiser Franz II./I. mit seiner Familie um 1796 auf der neu errichteten Terrasse auf dem Augustinergang der Hofburg zu sehen. Aus sozialhistorischer Sicht ist dieses Bild hochinteressant, da es die kaiserliche Familie in sehr persönlichem Rahmen als Privatfamilie zeigt. Aus gartenhistorischer Perspektive gibt es einen seltenen Einblick in die Botanische Sammlung des Kaiserhauses.
Anhand der Bepflanzung der sechs Hochbeete auf der Terrasse ist ersichtlich, dass das Bild im Frühjahr entstanden sein muss. Von links nach rechts sind in den Beeten Gartenhyazinthen (Hyacinthus orientalis), Tulpen (Tulipa) und Ranunkeln (Ranunculus asiaticus) zu erkennen.
Diese Pflanzen stammen aus Vorderasien und kamen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über Konstantinopel nach Wien. Auch Kaiserkronen (Fritillaria imperialis) und Tazette-Narzissen (Narzissus tazetta) gelangten auf diesem Weg in unsere Gärten. Tulpen, Kaiserkronen und Gartenhyazinthen waren bereits vor der Mitte des 16. Jahrhunderts über den venezianischen Levantehandel nach Italien gekommen, in ganz Europa verbreitet wurden sie jedoch durch Carolus Clusius, Botaniker am Hof Kaiser Maximilians II.
Diese Pflanzen waren als diplomatische Geschenke nach Wien gekommen. Die kaiserlichen Gesandten Ogier de Busbecq und David Ungnad von Sonnegg hatten von ihren Reisen zur Hohen Pforte nach Konstantinopel in den 1560er und 1570er Jahren immer wieder neue, unbekannte Pflanzen, Knollen, Zwiebeln und Samen als Geschenke nach Wien gebracht. Carolus Clusius kultivierte diese Pflanzen in den kaiserlichen Gärten an der Hofburg, brachte sie zur Blüte und publizierte Beschreibungen und Abbildungen dieser Pflanzen in botanischen Werken. Auch der kaiserliche Leibarzt Pietro Mattioli war an diesen Arbeiten beteiligt. Er publizierte 1565 in einem Arzneibuch die Abbildung einer Tulpe unter dem Namen ‚Narcissus‘. Clusius hatte später vergeblich versucht, die türkische Bezeichnung ‚lâle‘ zu verbreiten. Durchgesetzt hat sich stattdessen der Begriff Tulipan, der etymologisch auf das persische Wort ‚durbānd‘ für Turban zurückzuführen ist.
Clusius verbreitete sein Wissen über diese Neuheiten in den Netzwerken der Botaniker und Pflanzenliebhaber in ganz Europa. Nachdem zum Beispiel im April 1576 erstmals eine Kaiserkrone in Wien geblüht hatte, versandte Clusius Samen und Tochterzwiebeln an befreundete Botaniker, aber auch an pflanzeninteressierte Fürsten. Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel war unter den Adressaten. Er pflanzte die Zwiebeln in seinen Garten in Kassel und konnte 1580 selbst vermehrte Tochterzwiebeln an weitere Interessierte weitergeben. Auch alle anderen aus Konstantinopel erhaltenen Pflanzen wurden auf diesen Wegen von Wien über ganz Europa verbreitet.
Der Wert dieser Pflanzen war außerordentlich hoch. Wie in dem Gemälde David Teniers d. Ä. zu sehen, wurden Tulpen, Kaiserkronen und andere Frühjahrsblüher vereinzelt in die Beete gepflanzt, da meist nur wenige Pflanzen verfügbar waren. Auch sollte die Schönheit der Einzelpflanze betont werden. Um ihre Wirkung zu steigern, wurden sie oft in Gefäßen kultiviert. Den noch geringen Mengen realer Pflanzen in den Gärten steht die große Fülle in Gemälden gegenüber. Pflanzen sind vergänglich und vor allem bei den nach der Blüte einziehenden Zwiebelpflanzen konnte man nicht sicher sein, ob sie im kommenden Frühjahr wieder blühen würden. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts spezialisierten sich Maler in den Niederlanden wie Jan Brueghel d. Ä. auf Blumenstillleben. Anders als die im Garten vereinzelt stehenden Blumen beeindruckt hier die große Fülle der Blüten. Neben anderen Gründen boten diese Gemälde auch die Möglichkeit der dauerhaften Konservierung der vergänglichen Blüten. Zeitgleich entstand in den Niederlanden mit der Züchtung und Vermehrung von Tulpen und anderen Zwiebelpflanzen ein neuer Wirtschaftszweig. Und über den Umweg über die Niederlande kamen viele dieser Pflanzen wieder nach Wien zurück.
Mitte des 18. Jahrhunderts plante Kaiser Franz I. auf Anraten des Hofmedicus Gerard van Swieten, einen Botanischen Garten in Schönbrunn anzulegen. Für die Betreuung empfahl van Swieten seinen Landsmann Adrian van Steckhoven, der als Gärtner in Leiden tätig war. Steckhoven sollte aus den Niederlanden auch Pflanzen mitbringen. Aus einer Liste ist ersichtlich, wie groß der Bedarf an Frühlingsblühern war. Der Kaiser orderte bei Steckhoven 200 gefüllte Hyazinthen, 4.000 Tulpen, 1.000 Ranunkeln, 200 Tazette- und 2.000 Jonquille-Narzissen, 50 Kaiserkronen, 1.000 Anemonen, 200 Schachbrettblumen sowie 1.000 diverse Zwiebelpflanzen. Zahlreiche weitere, nicht heimische Pflanzen standen auf der kaiserlichen Wunschliste.
Diese Pflanzen waren der Grundstock einer großen Sammlung. 1754 beauftragte der Kaiser erstmals eine Forschungsexpedition in die Karibik, um lebende Pflanzen, Tiere, Mineralien, Muscheln, Münzen und kunsthandwerkliche Gegenstände für seine Gärten, die Menagerie und die Naturaliensammlung nach Wien zu bringen. Diese Sammelreise war ausgesprochen erfolgreich und die erste einer Reihe weiterer Expeditionen.
Die Botanischen Sammlungen wurden ebenso wie alle anderen kaiserlichen Sammlungen stetig erweitert. Lebende Pflanzen und Tiere wurden im Holländischen Garten - wie der Botanische Garten genannt wurde - und in der Menagerie in Schönbrunn untergebracht, alle anderen Objekte in der kaiserlichen Kunstsammlung und im Naturalienkabinett. 1765 wurden schließlich die bisher über die Hofburg verteilten Naturaliensammlungen im neu errichteten Augustinertrakt zusammengeführt. Auf dem darüber liegenden Flachdach ließ das Kaiserhaus 1791 einen Garten mit Hochbeeten anlegen und ein kleines Glashaus errichten. Ein kleiner Teil der Botanischen Sammlung aus Schönbrunn wurde hier im kaiserlichen Privatgarten kultiviert. In der Darstellung dieses Dachgartens mit der kaiserlichen Familie werden die Frühjahrsblüher in den Hochbeeten prominent präsentiert. Durch die geöffneten Türen des Glashauses sind tropische Pflanzen zu erkennen. Auch die angeketteten Affen, die Fische und die Vögel waren Bestandteil der kaiserlichen Lebendsammlungen.
Im 19. Jahrhundert verloren Zwiebelpflanzen ihren hohen Wert. Lediglich Pflanzennamen wie die Kaiserkrone zeugen noch von ihrer Exklusivität. Die Beete in den Hofgärten waren mittlerweile so umgestaltet, dass nicht mehr die Einzelpflanze im Mittelpunkt stand. In der jahreszeitlichen Wechselbepflanzung wurden nun blühende Pflanzen in Massen gesetzt. Es wurden solch große Mengen an Zwiebelpflanzen benötigt, dass nur ein Teil selbst vermehrt werden konnte. Zunehmend wurden sie nun in niederländischen Handelsgärtnereien zugekauft.
Claudia Gröschel